© Arto Hanciogullari und T. Tsekyi Thür

Die Merkmale typischer belgischer Lampen

Belgien war in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein sehr reiches Königsreich aufgrund der Kolonialherrschaft über Zentralafrika. In diesem kleinen, aber reichen Land existierte eine eigenständige, autarke Lampenindustrie, die unabhängig vom deutschen und französischen Einfluss eine eigene Stilrichtung entwickelte. Nicht nur die Form war eine eigene, belgische Entwicklung, sondern auch die Brenner waren anders als die damals auf dem Kontinent vorherrschenden deutschen Brenner.

Die typische belgische Lampe nach ca. 1880 ist oft aus Messing hergestellt. Die sehr verbreiteten Lampen aus Pressglas mit einem einfachen Flachbrenner von Lempereur & Bernard als typische Arbeitslampen für Haushalte mit geringem Einkommen spare ich hier aus, da sie ästhetisch und technisch mit den späteren belgischen Lampen nicht konkurrieren können. Der Lampenkörper der Messinglampen besteht aus einem Fuß und einer nach oben breiter werdenden Vase, die gleichzeitig als Petroleumtank fungiert. Der Fuß weist oft nicht die Stilmerkmale der aufwändigen deutschen bzw. französischen Lampenfüße auf, er ist einfacher, schlichter gehalten. Nicht selten ist der Fuß aus rund geprägtem Messingblech, mit gestanzter oder geprägter Ornamentik. Die Vase ist ebenso schlicht gehalten. Die einzigen Ornamente sind geprägte Dekorationen, die nicht sonderlich ins Gewicht fallen. Ein besonderes Merkmal der Vase ist, dass sie oft eine zusätzliche Öffnung neben dem Brenner hat, um Petroleum einfüllen zu können, ohne die Notwendigkeit, Schirm, Zylinder und Brenner abnehmen zu müssen. Diese Vase wird manchmal auch getrennt angeboten, um sie mit geeigneten Säulen zu kombinieren, falls man doch eine etwas höhere Lampe bevorzugt, bzw. um sie in die Hängelampen einzuhängen.

Eine große Besonderheit der belgischen Lampen aus Messing ist, dass sie fast durchweg Zentralluftzug-Lampen sind. Die Messingvase, die gleichzeitig der Petroleumtank ist, hat in der Mitte ein breites Messingrohr, das von oben bis unten durchgeht und zur inneren Luftzufuhr an die Flamme von unten dient. Um diesen Luftzug zu ermöglichen, sind die Fußteile belgischer Lampen immer mit Löchern versehen, bzw. sie stehen auf Füßchen. Der Docht ist immer ein Schlauchdocht, der nicht erst im Brenner zu einem Runddocht geformt wird, sondern von Anfang an als Schlauchdocht angefertigt und eng um das mittige Luftrohr der Vase angelegt ist. Der eigentliche Brenner mit dem Dochtrad wird nun auf das obere Teil des Luftrohrs aufgesteckt und anschließend am Vasenring eingeschraubt. Das Luftrohr im Metallbassin übernimmt damit auch die Funktion des Brandrohrs, da er den Docht trägt. Damit folgen die belgischen Lampen aus Messing dem Argand’schen Prinzip der zentralen Luftzufuhr von unten durch ein Luftrohr am besten. Um den Brenneffekt noch weiter zu verbessern, tragen diese Brenner immer eine spezielle Flammscheibe, die sich von den deutschen Flammscheiben signifikant unterscheidet.

 

Flammscheiben der belgischen Zentralluftzug-Brenner

 

Der Zylinder zu diesen Brennern ist immer ein 18-liniger Matador-Zylinder. Warum dann die typischen belgischen Zylinder mit 18‘‘‘ bezeichnet werden, ist mir nicht ersichtlich, da der Brenner doch größer ist. Berechnet man die Größe ausgehend vom Durchmesser des Schlauchdochts (30-35 mm), ermittelt man eine Größe von 21-25 Linien. Ich habe das Gefühl, dass diese Zylinder-Sondergröße bzw. Sonderbezeichnung nur für die belgischen Zentralluftzug-Lampen ins Leben gerufen wurde.

Die typische belgische Lampe ist offensichtlich eine früh rationalisierte, aus funktionalen Bestandteilen ohne großen Zierrat zusammengestellte Lampe, die dem späteren Slogan des 20. Jahrhunderts „form follows function“ (übersetzt heißt das: „die Form folgt der Funktion“, was nichts anderes ausdrücken will als dass das optimale Funktionieren wichtiger ist als Stil, Mode und Zierornamentik) als frühes Beispiel dient.

In der folgenden Tabelle sind die wichtigsten belgischen Lampenhersteller in alphabethischer Reihenfolge aufgelistet.

 

Firma Ort Lampenbezeichnungen
Caby Lüttich  
Lempereur & Bernard Lüttich Lampe Belge
Moreau Frères Lüttich Lampe Liégeoise
Sépulchre, Louis Lüttich  
Wauthoz, Albert Brüssel Lampe Dite Electrique
Lampe Bruxelloise

 

Außer diesen mehr oder minder bekannten Produzenten gab es auch Maison Hanniet in Brüssel vermutlich als einen renommierten Hersteller / Händler, dessen Lampen aber doch äußerst selten bei eBay auftauchen. Ich besitze eine einzige Lampe von diesem Haus, sonst wäre mir die Existenz dieser Firma gar nicht aufgefallen.

Vier von fünf der oben gelisteten belgischen Lampenproduzenten waren in Liège (Lüttich; bzw. in einem Vorort von Lüttich namens Herstal) ansässig. Der mit weitem Abstand größte und erfolgreichste belgische Lampenhersteller war Lempereur & Bernard. Diese Manufaktur wurde bereits 1868 von zwei Cousins, Joseph Lempereur und Lambert Bernard gegründet. Die Firma war bisweilen so erfolgreich am Markt, dass man Filialen und Produktionsstandorte in den USA und Großbritannien unterhielt. Von meinen 12 belgischen Lampen sind 4 von dieser Firma. Louis Sépulchre war ein Mitarbeiter bei Lempereur & Bernard. Er hat später seine eigene Firma gegründet und ab 1880 Petroleumlampen hergestellt. Caby war eingestellt bei Sépulchre, bis er sich auch eigenständig machte. Viele Sépulchre- und Caby-Lampen sind deswegen zum Verwechseln ähnlich (Info: Ara Kebapcioglu). Von Caby habe ich kein einziges Exemplar. Über Moreau Frères und Albert Wauthoz gibt es wohl auch nur spärliche Informationen.

In einem Katalog von Lempereur & Bernard kann man sehen, dass ausschließlich Tulpen für die Tischlampen vorgesehen sind, jedoch keine Vesta-Schirme. Aufgrund der Vasenform der belgischen Lampen kann ich mir aber gut vorstellen, dass weiße wie farbige Vesta-Schirme hier auch gut passen könnten.