© Arto Hanciogullari und T. Tsekyi Thür

Die Merkmale typischer britischer Lampen

Jetzt kommen wir zu einem ganz anderen Stil, der sich von der kontinentalen Stilvielfalt ziemlich abgegrenzt hat. Sei es aufgrund ihrer „Inselstellung“, sei es bedingt durch ihren vornehm-zurückhaltenden Charakter, haben die Briten eine eigene Lampenart kreiert und den kontinentalen Einfluss sehr erfolgreich abgewehrt. Dies fing schon sehr früh an mit der Entwicklung des Duplex-Brenners aus einem einfachen Flachbrenner, und mit anschließender Verbesserung des Wiener Zylinders, indem sie ihm einen ovalen Querschnitt verliehen haben. Damit waren schon zwei starke Unterscheidungsmerkmale geboren. Aber damit nicht genug, haben Briten auch sehr eigenständige Lampenformen entwickelt.

Ein Unterscheidungsmerkmal der britischen Lampen gegenüber den deutschen bzw. österreichischen Lampen ist, dass sie so gut wie keinen Zinkguss verwenden. Unter meinen 41 Lampen aus Großbritannien besteht nur eine einzige aus Zinkguss, und das wahrscheinlich deshalb, da sie eine Figurenlampe ist (L.311). Das meist verwendete Metall ist Messing, gefolgt von Gusseisen bei den pyramidal geformten Sockeln.

Die typische, einfachere Petroleumlampe der Briten besteht aus einem in der Basis quadratischen, pyramidal geformten Fuß aus Gusseisen. Diese Fußform existiert nur in Großbritannien. Der Guss ist meistens dekorativ ausgeführt, mit unterschiedlichsten Motiven geschmückt, und je nach künstlerischem Anspruch auch ornamental durchbrochen. Diese gusseisernen Füße sind relativ groß, so dass man keine weiteren Säulen zur Erhöhung der Lampe benötigte, und meistens schwarz lackiert. Auf diesem pyramidalen Sockel ist ein Petroleumtank meist aus farbigem Milchglas aufgeschraubt. Dieses Bassin kann aus einfarbigem, aber ornamental geprägtem Pressglas bestehen, oder aus mundgeblasenem Glas, das farbig bemalt ist. Der Schirm ist fast immer ein Kugelschirm aus farblosem Glas, das aber mit stilisierten Blumen und anderer Ornamentik fein geätzt ist. Eine weitere, häufig vorzufindende Version ist der sogenannte „beehive“-Glasschirm als eine Variation des Runden Kugelschirms, der hier die Gestalt eines alten Bienenkorbs aufweist.

Später wurden diese gusseisernen Füße ausgetauscht gegen runde, schwere Steinzeug-Sockel, die einen relativ großen Durchmesser haben und getreppt ausgeführt sind. Sie ähneln in ihrem Aussehen den hölzernen Fußteilen der französischen Skulpturen-Lampen, sind aber breiter und viel schwerer. Diese Keramikfüße sind glänzend schwarz glasiert, viel seltener gibt es auch andere Glasurfarben. Meistens sitzt eine kurze, vielfach ornamental geprägte oder gepunzte Säule aus Messingblech auf diesem Keramik-Sockel, die wiederum den aufgeschraubten Petroleumbehälter trägt. Dieser Behälter kann jetzt aus Glas wie oben beschrieben, oder auch aus Messing bestehen. Auch diese Lampen haben sehr oft die farblosen Kugelschirme.

 

Typische Sockelformen britischer Lampen
Obere Reihe, von links: Pyramidenfuß aus Gusseisen – Schwarzglasierter Sockel aus Steinzeug – Getreppter, quadratischer Messingsockel
Untere Reihe, von links: Pyramidenfuß aus Gusseisen – Hellbeige-glasierter Keramik-Sockel – Getreppter und ornamentierter, quadratischer Messingsockel

 

Die dritte Sorte der typisch britischen Lampen ist eine elegante, in Ornamentik vornehm-zurückhaltende, hohe Säulenlampe. Der Sockel dieser Säulenlampen ist oft sehr einfach gehalten; er besteht aus einem quadratischen, zierlosen, allerdings in Stufen getreppten Messingblech, oder einem spärlich dekorierten Messingguss. Die Säule ist häufig aus senkrecht geripptem Messingblech, die oben auch sehr oft ein aufwändig gegossenes, korinthisches Kapitell trägt. Die Ausführung ist immer gediegen und aus schwerer Qualität, manchmal auch gänzlich versilbert. Andere Varianten haben eine Marmorsäule anstatt einer Messingsäule. Auf dem korinthischen Kapitell ist wiederum der Petroleumtank aufgeschraubt, der jetzt bevorzugt aus farblosem, aber elegant geschnittenem Kristallglas ausgeführt ist. Der Schirm zu diesen eleganten Säulen ist oft eine ebenso elegante, fein geätzte Glastulpe, deren oberer Rand fantasievoll gewellt und farbig gestaltet ist. Wie im Kapitel der Lampenschirme erwähnt, die bevorzugte Farbe ist die sog. „cranberry“-Farbe, die auf Deutsch etwa als reiche Dunkelrosa oder als Karminrot zu beschreiben ist. Diese Tulpen erreichen sehr hohe Preise beim britischen eBay. Natürlich kann man auch die fein geätzten, aber farblosen Kugelschirme anstatt Tulpen verwenden. Die Lampe wirkt dann allerdings etwas farblos und langweilig.

 

Einige typische Lampenformen aus Großbritannien
Obere Reihe, linkes Foto: Lampen mit pyramidal geformten Füßen aus Gusseisen
Obere Reihe, rechtes Foto: Lampen mit Steinzeug-Sockeln und Messing-Säulen
Untere Reihe, linkes Foto: Lampen in Arts & Crafts-Stil mit ihren Bassins
Untere Reihe, rechtes Foto: Keramik-Lampen mit ihren Bassins

 

Eine weitere, sehr britische Lampensorte ist die aus Messing angefertigte Lampe in „Arts & Crafts“-Stil. Diese Kunstbewegung kam in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Großbritannien auf, und zwar als eine Protestbewegung gegen das industrialisierte Einheitsdesign vieler Alltagsgegenstände. Man kann Arts & Crafts auch als ein Wegbereiter und eine Vorstufe des später in ganz Europa einsetzenden Jugendstils betrachten. Die Lampen in Arts & Crafts-Stil zeichnen sich aus mit aufwändig und filigran ausgeführten Lampengestellen aus Messingstangen, die oben den Petroleumtank aus Kupfer oder Messing tragen. Ein sehr berühmter Vertreter dieser Bewegung war der Designer WAS Benson, dessen Lampen heute sehr gesuchte, daher hochpreisige Raritäten sind. Ich habe keine Benson-Lampe in meiner Sammlung.

Wiederum eine Sonderstellung nehmen die Lampen aus Keramik oder Porzellan. Seit Wedgwood Mitte des 18. Jahrhunderts das hochwertige Steingut einführte, erlebte die britische Keramikindustrie einen regelrechten Boom. Es gibt viele, zum Teil weltberühmte Keramik-Produzenten, wie z.B. Royal Doulton, die erstklassige Lampenteile zur Lampenindustrie beigesteuert haben. Diese Lampen bestehen oft aus einer keramischen Vase und einem ebenfalls keramischen Bassin zum Einstecken.

Bei den Porzellan-Manufakturen sollte man Moore Brothers, Spode Copeland oder Royal Worcester erwähnen, die sehr hochwertige Porzellanlampen in ihrem Programm hatten. Insbesondere Moore Brothers haben mit ihren Porzellanlampen als Kombination aus weißen, unbemalten Putten und farbigen Pflanzen einen völlig eigenständigen Stil kreiert (siehe Lampen L.205 und L.252).

Es ist überflüssig zu erwähnen, dass fast alle britischen Lampen einen Duplex-Brenner haben. Die Brenner der herrschaftlich-eleganten Säulenlampen, deren metallenen Teile versilbert sind, sind auch versilbert. Eine weitere Besonderheit der britischen Lampen besteht darin, dass alle Petroleumtanks, ob aus Glas oder Messing, unten an ihrem Metallzapfen Gewinde aufweisen und daher auf die Säule aufgeschraubt werden. Die Gewindegrößen sind oft die gleichen (meistens 21, 22 oder 23 mm im Durchmesser), so dass Petroleumtanks leicht austauschbar sind.

Die mir bekannten britischen Lampen- und Brennerhersteller sind in der nächsten Tabelle aufgelistet.

Firma Ort
Evered, Richard & Son Birmingham
Hinks & Son Birmingham
Messenger & Co. Birmingham
Palmer & Co. Birmingham
Rowatt, Thomas & Sons Edinburgh
Sherwoods Birmingham
Silber Light Co. London
Veritas – Falk & Stadelmann London
Wright & Butler Birmingham
Young Birmingham und Glasgow

 

Es ist auffallend, dass die allermeisten britischen Produzenten in Birmingham ansässig waren. Die wichtigste, geradewegs epochemachende englische Firma ist zweifellos Hinks & Son. Diese hoch innovative Firma hat den typisch britischen Duplex-Brenner, den Bajonett-Anschluss, den Ovalbauch-Duplex-Zylinder, den Galerie-Heber und Flammen-Löscher erfunden und damit dem langjährigen Erfolg des britischen Duplex-Brenners den Weg geebnet. Die Hinks-Brenner wurden zusätzlich in sehr vielen Lampen anderer Lampenproduzenten eingebaut. Auch die Lampen dieser Firma sind qualitativ sehr hochwertig. So gesehen gibt es eine gut begründete Parallele zwischen dem deutschen Wild & Wessel, dem österreichischen R. Ditmar und dem englischen Hinks & Son. Aber auch von anderen englischen Lampenproduzenten, wie z.B. Messenger, Evered, Veritas, gibt es sehr hochwertige Lampen.

 

Meine Lampen aus Großbritannien

Die britischen Lampen kann man – schon allein wegen ihres Duplex-Brenners – relativ leicht identifizieren. Auch die typisch britischen Sockelformen wie Pyramidenfuß aus Eisenguss oder Steinzeug-Sockel aus sehr dichter, schwerer Keramik sind sichere Identifizierungshilfen. Ich habe trotzdem nicht vergleichsweise so viele britische Lampen wie ich aus Frankreich oder Deutschland habe. Der Grund liegt daran, dass die guten, sammelwürdigen britischen Lampen weit höhere Preise erzielen und daher recht teuer sind, denn die Briten selbst sind leidenschaftliche Antikensammler und treiben die Auktionsergebnisse hoch. Wenn man aber die Qualität der Lampen unter Augenschein nimmt, wird man die Sammelwürdigkeit und damit einhergehend die Preiswürdigkeit dieser Lampen gut verstehen.

Die 41 britischen Lampen der Sammlung stelle ich in drei Unterkapiteln vor:

1. Lampen vorwiegend aus Messing
2. Lampen aus Porzellan, Glas und Keramik
3. Lampen aus unterschiedlichen Materialien