© Arto Hanciogullari und T. Tsekyi Thür

Glaszylinder

Im vorigen Kapitel wurden unterschiedliche Arten von Petroleumbrennern beschrieben. Für diese Brennersorten wurden auch unterschiedliche Arten von Glaszylindern entwickelt, um das Optimum der Flammenhelligkeit zu erzielen. Hier in diesem Kapitel werde ich die unterschiedlichen Glaszylinder mit ihren typischen Merkmalen beschreiben, und sie zu den richtigen Brennertypen in Bezug setzen, denn das ist einer der häufigsten Fehler, die auf dem Markt mit alten Petroleumlampen begangen werden.

Die Bedeutung des Glaszylinders, der direkt in die Galerie des Brenners eingesteckt wird, und somit die Flamme des Brenners komplett umschließt, kann man sofort erkennen, wenn man auf einen schon angezündeten Brenner den richtigen Zylinder aufsetzt: Die davor eher dunkel (also orange-rötlich) brennende, rußende Flamme wird augenblicklich heller, strahlender; und das Rußen hört sofort auf! Der Effekt der weit besseren Flamme kommt durch die viel stärkere Luftzufuhr zu der Flamme, die durch den Kamin-Effekt des Zylinders erzeugt wird. Bekanntlich steigt die wärmere Luft nach oben; und die wirklich heiße Luft von der Brennerflamme fliegt buchstäblich durch den schmalen Kamin (denn der Glaszylinder ist ja nichts anderes als ein Kamin) nach oben und erzeugt sofort einen kräftigen Luftzug von unten nach oben, womit größere Mengen frischer Luft (und damit auch mehr Sauerstoff) von außen zu der Flamme gelangen.

 

Wirkung des Glaszylinders

Der aufgesetzte Glaszylinder bewirkt zwei wichtige Änderungen:

Erstens: Der Luftspalt zwischen der Flamme und der begrenzenden Glaswand des Zylinders wird eng. Der Luftstrom der erhitzten Luft nach oben erfährt an dieser Stelle eine erhebliche Beschleunigung, da die gleiche Luftmasse von unten kommend jetzt auf einmal eine sehr viel engere Stelle durchströmen muss. Dieser Effekt ist auch in der Natur sehr bekannt: träge dahinfließende, breite Flüsse bekommen auf einmal eine viel größere Fließgeschwindigkeit, wenn sie eine enge Stelle passieren müssen. In der Physik nennt man diesen Effekt „Venturi-Effekt“, benannt nach seinem italienischen Entdecker Giovanni Battista Venturi, einem bekannten Physiker des 18. Jahrhunderts. Die höhere Geschwindigkeit des Luftstroms nach oben zieht die Flamme zwangsläufig mit nach oben; die Flamme wird nach oben „verlängert“, die Oberfläche der Flamme vergrößert sich und die Lichtausbeute steigt entsprechend.

Zweitens: Der Luftstrom wird an diesem beengten Luftspalt viel stärker an die Flamme gedrückt mit dem Ergebnis, dass jetzt mehr Sauerstoff zur Verbrennung der gasförmigen Bestandteile des Petroleums zur Verfügung steht. Das ergibt einen intensiven Luftkontakt der Flamme und führt zu einer vollständigen Verbrennung; die Flamme brennt sehr hell und ohne zu rußen.

 

Der Effekt des Glaszylinders (schematisch)
Links: Flamme des Brenners ohne aufgesetzten Glaszylinder (Schema A)
Rechts: Flamme des Brenners mit aufgesetztem Glaszylinder (Schema B)

 

Erklärung zum Schema A (Flamme ohne Glaszylinder):

1 = Der Luftraum um die Flamme ist sehr groß; kein enger Spalt zwischen Flamme und einer begrenzenden Wand kann einen intensiven Luftkontakt erzwingen.
2 = Der äußere Luftstrom beengt die Flamme nicht.
3 = Die warme Luft hat breiten Raum und steigt langsamer nach oben.
4 = Die Flamme ist relativ gedrungen und brennt eher orange-rötlich.
5 = Die Flamme rußt erheblich auf Grund mangelhafter Verbrennung des Petroleums.

Erklärung zum Schema B (Flamme mit Glaszylinder):

6 = Glaszylinder (hier grün gezeichnet) beengt den Luftraum um die Flamme.
7 = Der Abstand zwischen Flamme und Glaswand ist relativ klein.
8 = Durch diesen kleineren Luftspalt fließt die aufsteigende Luft mit höherer Geschwindigkeit und zieht die Flamme nach oben.
9 = Die erhitzte Luft steigt viel schneller hoch und mehr Frischluft gelangt an die Flamme.
10 = Die Flamme ist schmal und länglich, brennt viel heller und rußt nicht

 

Demzufolge braucht jeder Brenner einen passenden Glaszylinder, um optimal, das heißt ruhig, hell, rußfrei, zu brennen. Da aber die Brenner unterschiedliche Entwicklungsstufen aufweisen und sich in Größe und Typus stark unterscheiden, brauchen sie auch unterschiedlich geformte, zu jedem Brenner angepasste Glaszylinder, um ihre Flamme ganz optimal zu entwickeln. Man darf ja nicht vergessen, dass das Bedürfnis des Menschen nach einem besseren, helleren Licht in der dunkleren Zeit des Tages im Laufe der Jahrhunderte immer stärker geworden ist. Damit war auch klar, dass jede auch so kleine Verbesserung, um die Lichtausbeute der Petroleumlampen zu erhöhen, auch gleich genutzt wurde. Neben den unterschiedlichen, konzeptionellen Verbesserungen der Brenner spielen die dazugehörigen Glaszylinder eine gleich hohe, bedeutende Rolle, denn sie sind es, was die Luftzufuhr zur Flamme maßgeblich beeinflusst. Erst die richtige Kombination eines Brenners mit dem richtigen Docht und mit dem für diesen Brennertypus entsprechend entworfenen Glaszylinder macht ein in jeder Hinsicht zufriedenstellendes Brennen möglich.

Um 1900-1920, als die Petroleumlampen immer noch die einzige weitverbreitete Lichtquelle der Menschen darstellten, aber die Brenner-Entwicklung weit vorangeschritten war, wurden für alle erhältlichen Brenner die dazugehörigen Glaszylinder entworfen und auf den Markt gebracht. Die Auswahl war demzufolge riesig! Als ein Beispiel der Angebotsbreite der Produzenten und Händler gebe ich hier zwei Seiten aus einem Katalog von 1915 der Firma J.C. Giessing, Nürnberg, wieder:

 

 

 

Zu unserem Unglück, werden heute unzählige alte und antike Lampen mit falschen Zylindern angeboten. Das ist nicht nur bei eBay der Fall, sondern auch bei Antiquitäten- und Auktionshäusern, wo man einen seriöseren Umgang mit der angebotenen Ware voraussetzen darf. Auch hier spielt die Unkenntnis eine wichtige Rolle. Eine schöne, teure, ansehnliche Lampe, die zwar einen Kosmos-Brenner, aber einen Wiener-Zylinder trägt, ist schlichtweg eine Zumutung, insbesondere dann, wenn die Lampe im Begleittext auch noch „mit dem Original-Zylinder“ angepriesen wird. Mehr als zwei Drittel meiner Lampen wurden mit einem falschen Zylinder angeboten, sofern sie überhaupt einen Zylinder hatten!

Es ist daher von essentieller Wichtigkeit zu wissen, zu welchem Brenner welcher Zylinder gehört. Zum Glück werden alte und neu hergestellte Glaszylinder der gängigsten Arten (Wiener-, Kosmos- und Matador-Zylinder) noch sehr zahlreich angeboten, so dass man einen falschen Zylinder leicht mit dem richtigen ersetzen kann.

 

Kragen eines Glaszylinders

Noch bevor wir zu den nächsten Kapiteln gehen, möchte ich an dieser Stelle etwas erläutern, was später häufiger vorkommt und einer Erklärung bedarf: Der Begriff „Kragen“ (meine Nomenklatur; nicht allgemein bekannt). Jeder Glaszylinder muss in die Galerie eines Brenners eingesetzt werden, wo er durch die biegsamen Zacken der Galerie fest in seiner Position gehalten wird. Da die unterschiedlich großen Brenner auch unterschiedliche Durchmesser bei ihren Galerien haben, muss der untere Durchmesser des Glaszylinders sehr gut zu der Galerie des Brenners passen. Diesen unteren Teil mit seinem wichtigen Durchmesser, gemessen von Außenwand zu Außenwand, nennen die Englisch-sprachigen Leute „fitter“. Erstaunlicherweise gibt es dafür in der deutschen Sprache keinen adäquaten Begriff. Daher habe ich mir erlaubt, einen passenden, einfachen und doch prägnanten Begriff für die sonst umständliche Umschreibung dieses unteren Teils eines Glaszylinders zu definieren: Ich nenne diesen unteren Teil des Zylinders einfach Kragen, und dessen Außendurchmesser nenne ich Kragenweite. Der Begriff Kragen wird auch bei den Glasschirmen, insbesondere bei den Tulpen- und Kugelschirmen oft eingesetzt (siehe Kapitel Schirme und Schirmhalter).

Der Kragen bei den Glaszylindern ist in der Regel streng zylindrisch, so dass man den Zylinder einfach in die Zacken der Galerie einsetzen kann. Es gibt allerdings einige sehr seltene Ausnahmen, bei denen der Kragen nicht zylindrisch, sondern in seinem unteren Ende nach außen gewölbt ist. Diese Art des Kragens nenne ich „gelippter Kragen“. Glaszylinder mit einem gelippten Kragen kann man nicht einfach in eine Brenner-Galerie herkömmlicher Art hineinsetzen. Diese Zylinder brauchen speziell angepasste Galerien ohne Zacken, sondern mit seitlich angebrachten kleinen Schrauben, die man soweit einschraubt, dass der zuvor eingesetzte Zylinder dadurch kippsicher fixiert wird. Ein schönes Beispiel für diese Zylinderart ist der Breitbauch-Zylinder des britischen Lampen- und Brennerherstellers Young für seinen Victoria-Flachbrenner (siehe Unterkapitel Zylinder für Flachbrenner). Eine dritte Kragen-Variante ist der sog. Loxon-Kragen bei den Glaszylindern für Aladdin-Glühlicht-Lampen, bei denen der Zylinder mit einem Bajonett-Anschluss am Brenner fixiert wird.

 

Zylindrischer und gelippter Kragen bei Glaszylindern
Von links: Gewöhnlicher, zylindrischer Kragen – Einsatz in einer Galerie mit Zacken – gelippter Kragen – Fixierung mit Schrauben

 

Charakterisierung der Glaszylinder

Ich habe oft betont, dass zu jeder Brennerart der speziell dafür konzipierte Glaszylinder gehört. Wir werden in den nächsten Unterkapiteln die verschiedenen Arten der Glaszylinder kennen lernen. Man nennt die unterschiedlichen Glaszylinder mit ihrer typischen Bezeichnung, damit man von vornherein weiß, um welche Form es sich handelt.

Es gibt jedoch innerhalb der gleichen Gattung unterschiedlich große Glaszylinder, denn sie müssen ja in ihren Dimensionen dem jeweiligen Brenner angepasst sein. Daher ist es für die Charakterisierung wichtig, auch die maßgeblichen Dimensionen eines Zylinders anzugeben. Dazu gehört in erster Linie die Kragenweite, die sofort spezifiziert, zu welcher Brennergröße dieser Zylinder passt. In zweiter Linie ist die Höhe eines Zylinders wichtig, denn es gibt unterschiedlich hohe Zylinder bei gleicher Kragenweite. Eine dritte wichtige Größe ist der Durchmesser des Bauchs, falls der Zylinder einen Bauch hat. Die Relevanz gerade dieser Größe werde ich im Kapitel Schirme und Schirmhalter beschreiben. Die Kosmos-, Knick- und Flaschen-Zylinder haben keinen Bauch, der breiter ist als ihr Kragen. Ganz anders dagegen haben die Bauch- und Kugel-Zylinder einen in jedem Fall breiteren Bauchteil als ihre Kragenweite.

 

Die gängigsten Glaszylinder mit und ohne Bauch (abgebildet in ihrem richtigen Größenverhältnis zueinander - Obere Reihe: Marken der abgebildeten Zylinder)
Von links: 11‘‘‘ Wiener Zylinder
15‘‘‘ Matador-Zylinder
16‘‘‘ Central Vulkan-Zylinder
16‘‘‘ Knick-Zylinder
14‘‘‘ Kosmos-Zylinder
20‘‘‘ Flaschen-Zylinder

 

Umgang mit Glaszylindern

Vorneweg etwas ganz Wichtiges: Schon nach einigen Minuten, wenn man einen Brenner angezündet hat, wird der Glaszylinder extrem heiß, der darauf aufgesetzt ist. Ein Berühren mit bloßen Fingern wird sofort ein schlimmes Hautbrennen verursachen. Erst ca. 10-15 Minuten nach dem Löschen des Brenners ist ein Zylinder wieder berührbar.

Die Glaszylinder, die nach der Mitte des 20. Jahrhunderts hergestellt wurden, sind fast immer aus Borosilikat-Glas (auch bekannt als Pyrex-Glas oder Jenaer Glas) angefertigt, daher sind sie sehr hitzebeständig. Die richtig alten Glaszylinder sind dagegen nicht sehr beständig gegen Temperaturschwankungen. Sie können sehr leicht springen, wenn sie im heißen Zustand einen kälteren Luftzug von der Seite bekommen, was sehr leicht passieren kann, wenn man konventionelle Petroleumlampen für Hausgebrauch draußen im Freien, z.B. auf dem Balkon oder im Garten verwendet. Auch die Gläser, die zu stramm in der Galerie festgehalten werden, können infolge der Hitzeeinwirkung des Brenners springen, da die zeitliche Hitzedehnung von Glas und Messing unterschiedlich sein kann.

Es ist kein großes Problem, wenn die Kragenweite eines Zylinders etwas kleiner ist als die der Galerie (d.h. der Durchmesser zwischen den Galerie-Zacken). Man kann ja diese Zacken behutsam nach innen biegen, bis der Zylinder einen sicheren Stand hat. Man sollte nicht versuchen, einen Zylinder mit etwas größerer Kragenweite gewaltsam in eine Galerie hinein zu zwingen; die Gefahr des Glasbruchs, besonders wenn man diesen Brenner auch brennen lässt, ist zu groß. Genauso wenig sollte man versuchen, einen zu kleinen Zylinder mit einem größeren Brenner (z.B. mit der nächst größeren Linien-Größe) zu verwenden.

Verdreckte Glaszylinder können sehr leicht mit einer schmalen Bürste und etwas Spülmittel von innen und außen gereinigt werden. Es gibt allerdings auch Zylinder mit Flecken an der Innenwand, die gar nicht entfernt werden können. Hierbei handelt es sich um eine Art Glaspest, also um eine irreversible Schädigung der Glasoberfläche, deren Ursachen ganz unterschiedlicher Art sein können. Diese Gläser tun ihren Dienst nach wie vor, nur eben mit einem etwas gestörten Aussehen.

Und zuletzt: Alte Glaszylinder tragen an ihrem oberen Teil eine Marke, ein Logo, ein Hersteller-Zeichen oder Ähnliches. Diese Marke ist in der Regel mit Siebdruck gedruckt oder auch nur gestempelt. Die weiße Farbe haftet nur oberflächlich, da das Glas keine Poren aufweist, um die Farbe aufzunehmen. Mechanische Reibung (z.B. häufiges Waschen und Trockenreiben) entfernt diese Marke mit der Zeit; es verbleiben nur noch Reste, die gerade noch erkennbar sind. Neu hergestellte Glaszylinder haben keine Marke (Ausnahme: Die originalen Glaszylinder für Aladdin-Glühllicht-Lampen werden immer noch entsprechend gemarkt). Ich versuche bei meinen Lampen möglichst ältere Glaszylinder mit einer sichtbaren Marke zu verwenden, falls ich das Glück habe, einen solchen in der passenden Größe zu finden.