Kugel- und Tulpenschirme aus Glas
Jetzt verlassen wir die Klasse der Glasschirme mit einer großen unteren Öffnung und wenden uns zu Glasschirmen, deren untere Öffnung viel kleiner ist, also eine kleine Kragenweite besitzt. Dieses Merkmal ist bei allen Kugel- und Tulpenschirmen durchgängig. Die Kragenweite dieser Schirme ist maximal 100 mm, sofern sie für Petroleumlampen produziert worden sind (Schirme für Gaslampen haben manchmal größere Kragen bis 125 mm).
Obwohl sich Kugel- und Tulpenschirme in ihrer äußeren Erscheinung ziemlich unterscheiden, gehören sie trotzdem zu einer gemeinsamen Gattung, da sie unabhängig von ihrer Gestalt sehr große Gemeinsamkeiten aufweisen, was ihre Kragenweite, ihre kunsthandwerkliche Verzierung und ihre Beleuchtungswirkung angeht. Mit diesen Kriterien unterscheiden sie sich ganz grundsätzlich von den Vesta- und Rochester-Schirmen.
Kugelschirme
Kugelschirme weisen gewöhnlich – wie der Name schon andeutet – eine kugelige Gestalt auf. Ihre Form kann streng kugelig oder ganz leicht verflacht sein; aber die allgemeine Erscheinung ist die einer richtigen Kugel. Diese Form hat ihren Ursprung in den alten Carcel- und Modérateur-Lampen, die sehr oft einen satinierten bzw. durch mehrstufige Ätzung verzierten Kugelschirm besaßen. Die unteren und oberen Öffnungen dieser Schirme waren oft mit einem dünnen Messingring geschützt, um Beschädigungen des Glases beim Herausnehmen oder Aufsetzen zu vermeiden. Ihr wichtigstes Unterscheidungsmerkmal ist der fehlende Kragen. Diese Kugelschirme kann man auch bei den Petroleumlampen verwenden, wenn der untere Durchmesser es gestattet, über die Galerie des Brenners hindurchzukommen, denn sie sind mit ziemlich kleinen Öffnungen versehen, die für die Carcel- und Modérateur-Lampen ausreichend waren. Bei den Petroleumlampen können sie folglich nur mit Kosmos-Brennern kombiniert werden (bis max. 14‘‘‘ Kosmos).
Die Kugelschirme für Petroleumlampen haben unten einen Kragen, um die Kugel sicher in den Schirmhalter einzusetzen. Wie oben erwähnt, dieser Kragen kann bis 100 mm im Durchmesser sein. Oben sind sie fast immer glatt geschnitten. Eine Ausnahme bilden französische Kugeln neuerer Herstellung, deren oberer Rand geriffelt ist. Eine andere, von der streng kugeligen Gestalt abweichende Form bei manchen englischen Schirmen ist die sogenannte „beehive“-Form (Englisch beehive = altmodischer, aus Bast geflochtener Bienenkorb). Diese Schirme haben eine seitlich etwas gestauchte, nach oben leicht verlängerte Form. Es gibt auch Kugelschirme, deren oberes Drittel abgeschnitten ist (sogenannte, „halboffene“ Kugelschirme). Sie sind eigentlich für Gaslampen vorgesehen, können aber genauso gut bei Petroleumlampen verwendet werden. Eine weitere, eher verspieltere Abart sind die Kugelschirme von Baccarat, die eine offensichtlich kugelige Gestalt mit einem kronenartigen, obendrein gewellten Oberteil kombiniert haben. Es gibt auch Kugelschirme, die eine vertikale oder diagonale, breite Unterteilung aus bauchigen Segmenten aufweisen. Diese Art der Formgestaltung, die bezeichnenderweise „Melonenform“ genannt wird, kommt bei den Kugelschirmen seltener, bei den Tulpenschirmen dagegen etwas öfter vor.
Die farbliche Gestaltung und dekorative Verzierung der Kugelschirme erfolgt mit den Techniken, die ich im Unterkapitel Glas bei den Infoboxen beschreibe. Die älteren Versionen sind die Schirme von Modérateur-Lampen, die ohne Dekoration durchgängig satiniert oder sehr schön mehrstufig geätzt sind. Diese französischen Schirme sind immer aus farblosem Glas. Britische Kugelschirme sind oft aus farblosem, flach-geätztem Glas. Es gibt aber auch Schirme, die im oberen Bereich gefärbt sind. Deutsche und österreichische Kugelschirme sind oft in ihrer oberen Hälfte satiniert und in der unteren, transparenten Hälfte mit spärlichen Dekorationen versehen. Der Grund für diese Zweiteilung ist das Bemühen, nach unten auf die Tischoberfläche möglichst viel Licht durchzulassen, nach oben jedoch mit gedämpftem Licht die Augen der um den Tisch sitzenden Personen zu schonen. Es gibt auch seltene Kugelschirme aus geschnittenem Kristallglas, vermutlich für spätere Elektro-Lampen.
Diverse Kugelschirme
Obere Reihe, von links: Modérateur-Schirm ohne Kragen, innen satiniert und außen graviert
Flach-geätzter und oben gefärbter Kugelschirm mit gelipptem Kragen (Vianne)
Kugelschirm mit der satinierten oberen Hälfte
Kugelschirm aus geschnittenem Kristallglas mit gelipptem Kragen
Untere Reihe, von links: Kugelschirm in Melonenform für Modérateur-Lampen, ohne Kragen (St. Louis)
Amerikanischer Kugelschirm aus bemaltem Milchglas
Britischer „beehive“-Schirm mit flach-geätzten oder sandgestrahlten Motiven
Halboffener, mehrstufig geätzter Schirm für Gaslampen mit gelipptem Kragen (St. Louis)
Die Kugelschirme sind neben den Tulpen die bevorzugten Glasschirme in Großbritannien und Frankreich. Da die britischen Lampen fast ausschließlich Duplex-Brenner verwenden und die Ovalbauch-Duplex-Zylinder einen Durchmesser von ca. 90 mm aufweisen, sind diese Glaskugeln immer groß, mit einer Kragenweite von 100 mm. Sie sind meistens 17-19 cm hoch und bis 20 cm breit. Kleinere Kugeln sind selten und kommen eher auf dem Kontinental-Europa vor.
Die US-Amerikaner haben ab ca. 1890 größere Glaskugeln aus weißem Milchglas erzeugt, die meist mit Blumen bemalt sind. Die Bemalung kann sogar fast flächendeckend und sehr farbig sein. Diese Kugeln messen ca. 19-25 cm im Durchmesser. Sie sind also im Vergleich zu europäischen Schirmen recht groß und harmonieren eher mit den großen Lampen der US-Amerikaner (sogenannte „Gone with the wind-Lampen“, siehe Kapitel Amerikanische Lampen). Will man sie auf den europäischen Lampen verwenden, muss man zwangsläufig sehr große Lampen dazu auswählen, um die Verhältnismäßigkeit der Größen zu gewährleisten. Oder umgekehrt: Hat man recht große europäische Lampen, dann kann man sie getrost mit diesen großen amerikanischen Kugelschirmen anstelle von kleineren europäischen Exemplaren bestücken, die sonst auf solch großen Lampen recht deplatziert erscheinen (siehe L.163 im Katalogteil als Beispiel).
Tulpenschirme
Die Tulpenschirme haben ihren Namen von der Form einer aufgegangenen Tulpe entliehen. In dieser klassischen Ausprägung verbreitet sich das Glas schon unmittelbar oberhalb des Kragens, bildet einen mehr oder minder ausgeprägten bauchigen Mittelbereich, wird nach oben hin immer breiter, um schließlich einen stärker ausladenden Rand zu bilden. Neben dieser klassischen Tulpenform haben sich sehr viele Formen entwickelt, die mitunter gar keine Ähnlichkeit zu einer Tulpe haben, aber immer einer stilisierten Blume ähneln, so dass sie weiterhin „Tulpe“ genannt werden, um diese unterschiedlichsten Formen allgemein mit einer Bezeichnung zu charakterisieren. Ich will hier einige Beispiele für unterschiedliche Tulpenformen zeigen.
Sehr häufig ist der Mittelbereich der Tulpe leicht konkav, also nach innen gewölbt. Eine weitere Version hat die Form einer Urne, die oben schmaler wird, also einen relativ schmalen Hals bildet, und anschließend schnell wieder breiter wird. Diese Form nenne ich „Tulpe mit Krone“. Eine andere Variante kommt aus den USA: Die früheren Tulpenschirme für Gasbeleuchtung ähneln einer breiteren Blume; sie sind bei gedrungener Höhe recht breit und mit gelipptem Kragen.
Es gibt Tulpen, die eher einer geschlossenen Tulpenknospe ähneln, das heißt, ihre Form verjüngt sich nach oben hin und schließt oben mit einer kleinen Öffnung, ohne einen ausladenden Rand. Diese Tulpen sind sehr oft mit breiter, vertikal-bauchiger Segmentierung charakterisiert, die im Fachjargon „Melonenform“ heißt. Tulpen, deren Form sich von Tulpenform noch stärker unterscheidet, können zylindrisch, oval, kugelig mit Krone, oder mit nach innen gerichteten Wellen sein. Die Formsprache der Tulpenschirme ist so mannigfaltig, dass es unmöglich ist, alle charakteristischen Formen hier abzubilden.
Beispiele für Formenvielfalt der Tulpenschirme
Obere Reihe, von links: Klassische Tulpe, mehrstufig geätzt (Großbritannien)
Tulpe mit stark ausladendem Oberrand, geprägt und mehrstufig geätzt
Tulpe mit bauchigem Mittelteil, teilsatiniert und graviert
Tulpe in streng konischer Form, mehrstufig geätzt und gefärbt
Untere Reihe, von links: Tulpe in Knospenform, mehrstufig geätzt und gefärbt
Tulpe mit nach innen gewölbtem Oberrand, mehrstufig geätzt
Britische Tulpe für Gaslampen, geprägt, mehrstufig geätzt und gefärbt
Tulpe in eigenwilliger Form und mit glattem Oberrand, 2-stufig aber flach-geätzt
Weitere Beispiele für Formenvielfalt der Tulpenschirme
Obere Reihe, von links: Tulpe mit Krone, geprägt und mehrstufig geätzt (St. Louis)
Tulpe mit farbiger Krone, geprägt, satiniert und bemalt
Tulpe mit Krone, farbiges Glas, geprägt und mehrstufig geätzt
Tulpe in zylindrischer Form, geprägt, satiniert und bemalt (neue Herstellung aus Originalform von S. Reich)
Untere Reihe, von links: Tulpe in kugeliger Gestalt, geätzt und bemalt (Pantin)
Tulpe in konischer Melonenform mit geschnittenem Oberrand, flach-geätzt
Tulpe in Walzenform (= „Walzentulpe“) mit geschnittenem Oberrand, flach-geätzt
Tulpe für Sinumbra-Lampen, teilsatiniert und graviert
Ein sehr häufiges Merkmal der Tulpenschirme ist deren gewellter Oberrand. Die Wellenmuster variieren oft; 6- oder 8-fach gewellte Tulpen sind sehr häufig. Oft werden Wellen an ihren Rändern mit viel kleineren Wellen gerüscht. Tulpen in Melonen- oder Walzenform sind an ihrem Oberrand häufig in welliger oder eckiger Form geschnitten.
Tulpen sind die bevorzugten Glasschirme für französische Lampen, da sie mit deren Verspieltheit am ehesten harmonieren. In der Tat sind die französischen Tulpen sehr häufig bemalt mit polychromen Emaille-Farben, bzw. mit goldenen Linien verziert (hier gibt es eine wirkliche Parallele zu den französischen Glasbassins). Die Motive sind auch hier meistens Blumen und Pflanzen, aber auch Girlanden und duftige Bänder schmücken diese Tulpen.
Der Pariser Schirm
Der sogenannte „Pariser Schirm“ sieht wie ein normaler Vesta-Schirm aus, ist aber im unteren Teil nicht breit geöffnet wie dieser, sondern mit einem transparenten, farblosen Glas abgeschlossen bis auf eine mittlere Öffnung, der einen normalen Kragen aufweist, mit dem man den Schirm in einen üblichen Kugelring von meistens 85-100 mm Durchmesser einsetzen kann. Dieser Schirm hat die Dimension eines mittelgroßen Vesta-Schirms, braucht aber keinen entsprechend großen Schirmreif, sondern einen Kugelring. Im von oben sichtbaren Bereich ist er opak-weiß, manchmal sogar farbig bemalt, im unteren, üblicherweise nicht einsehbaren Bereich dagegen farblos-transparent, um das Licht nach unten ungefiltert durchzulassen.
Beispiele für Pariser Schirme (Kragenweite in mm)
(Untere Reihe: Aufnahmen von unten)
Links: Milchglas mit umbördeltem Oberrand (82 mm)
Mitte: Bemaltes Milchglas mit glattem Oberrand (92 mm)
Rechts: Milchglas mit gewelltem Oberrand (102 mm)
Die Verzierung von Tulpen und Kugelschirmen
Diese beiden Schirmarten sind die beherrschenden Schirme bei den hochwertigen Salonlampen, und zwar sowohl in Europa inkl. Großbritannien, als auch in USA. Folglich hat man alle möglichen Techniken angewendet, um imposante, schöne, dem herrschaftlichen Anspruch dieser Lampen bestens angepasste Schirme zu schmücken. Glas ist ja ein Material, das total farblos oder durchgängig einfarbig, mit überfangenem farbigem Glas partiell zweifarbig, ja sogar mit extra eingeschmolzenen, anders farbigen Glasstücken wirklich polychrom hergestellt werden kann. Außerdem kann Glas in beinahe jede Form gebracht werden durch Techniken wie Mundblasen, in Form blasen, in Form pressen, etc. Man kann sie nachträglich bemalen, mit Gravuren versehen, schneiden und schleifen, und auch mit speziellen Chemikalien ätzen. Daher gibt es so gut wie keine Grenzen, wenn diese Schirme ausgeschmückt werden sollen. Die meisten Veredelungs- und Verzierungstechniken, die bei den Glasschirmen für Petroleumlampen Anwendung fanden, habe ich ziemlich ausführlich im Unterkapitel Glas bei den Infoboxen beschrieben, daher brauche ich sie hier nicht nochmal zu wiederholen.
Es gibt Tulpen, bei deren Verzierung andere, viel seltener verwendete Methoden angewandt wurden. Dazu gehören Tulpen mit eingeschmolzenen farbigen Glaseinlagen oder mit später applizierten Glasverzierungen, farbig gebeizte Tulpen mit herausgeschliffenen Dekorationen, Tulpen mit raffiniert eingelegten Luftkammern, usw. Der Fantasie sind hier keine Grenzen gesetzt.
Beispiele für seltene Verzierungstechniken bei Tulpen
Obere Reihe, von links: Tulpe aus Uranglas mit eingeschmolzenen Dekorgläsern
Tulpe mit eingeschmolzenen farbigen Gläsern und irisierender Oberfläche (Pallme-König)
Tulpe mit applizierten Blumendekoren aus kleinen weißen Glasperlen
Kleine französische Tulpe mit aufgelegten hellgrünen Glasfäden
Untere Reihe, von links: Britische Tulpe mit diagonalen Linien aus opak-weißem Glas
Französische Tulpe mit rot gebeizter und struktur-geätzter Oberfläche (vermutlich Baccarat)
Französische Tulpe mit Luftkammern zwischen zwei Glasschichten
Kleine französische Tulpe mit irisierender Oberfläche
Es gibt Beispiele dafür, wie man die unterschiedlichen Dekorationstechniken sehr gekonnt kombiniert hat, um wunderschöne Glasschirme zu kreieren. Insbesondere zwei französische Kristallglas-Manufakturen in Lothringen, St. Louis und Baccarat, haben anspruchsvolle Tulpen und Kugelschirme durch komplizierte, mehrstufige Ätzung hergestellt. Die Schirme von diesen Manufakturen sind heute gesuchte Raritäten. Cristallerien von Pantin und Legras (beide in der Nähe von Paris) sind weitere namhafte französische Manufakturen, die Ätztechniken mit Bemalung kombiniert haben. Cristallerie de Clichy bei Paris wurde durch eigenartig marmoriertes, teilweise mehrfarbig gestaltetes Glas berühmt. S.V.E. (Société des Verreries pour l’Éclairage) in Paris und Verrerie de Vianne in Vianne (im Südwesten von Frankreich) haben in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bemalte bzw. geätzte Glasschirme hergestellt, die weite Verbreitung fanden.
Die Tulpen und Kugelschirme für die luxuriösen, englischen Säulenlampen sind nicht bemalt, sondern mit schönen, meist floralen Motiven geätzt. Interessanterweise sind die heute ungeheuer teuren britischen Tulpen aus dem Anfang des 20. Jahrhunderts fast immer mit der einfachsten Ätztechnik versehen; sie sind flach-geätzt, wogegen die früheren Exemplare aus dem 19. Jahrhundert eine wunderbare, mehrstufige Ätzung aufweisen. Eine Besonderheit der britischen Tulpenschirme ist deren oft farbig gestalteter Oberrand, während die Kugelschirme sehr häufig aus farblosem Glas sind. Die intensive Farbe im ungefähr oberen Drittel der Tulpe wird nach unten hin graduell schwächer. Der untere Teil der Tulpe ist entweder farblos oder nur noch sehr hell im Vergleich zum Oberrand gefärbt. Die am stärksten bevorzugte Farbe ist ein Rosarot, das von Dunkelrotrosa bis zum lilafarbenen Rot unterschiedliche Tönungen aufweisen kann. Die Engländer nennen diese Farbe (auch in den unterschiedlichsten Nuancierungen) allgemein als „Cranberry“, da die Farbe dieser Beerenart (= Moosbeere) der oben beschriebenen ähnelt. Andere, seltener vorkommende Farben sind Grün, Gelb, oder auch Blau (sehr selten). Viele dieser hochpreisigen Exponate waren Angebote der Londoner Firma Veritas (vermutlich von anderen Glasmanufakturen für Veritas hergestellt). Ein weiterer Hersteller von Glaswaren in Großbritannien, dessen Produkte heute kaum noch bezahlbar sind, war Nailsea im Südwesten von England. Manche Tulpen von dieser Firma und von der französischen Clichy sind sich so ähnlich, dass man sie nicht unterscheiden kann.
Das österreichische Kaiserreich besaß sehr berühmte Kunstglas-Manufakturen in Böhmen (damals Teil der österreichischen Doppelmonarchie) wie Lötz, Pallme-König, Kralik, Harrach, usw., die aber erst später, vornehmlich für Elektrolampen wunderschöne Schirme hergestellt haben, und in dieser Hinsicht eine Parallele zu berühmten französischen Jugendstil-Manufakturen Gallé und Daum darstellen. Davor, gegen Ende des 19.Jahrhunderts, waren die Manufakturen Salomon Reich sowie Schreiber & Neffen (beide Firmen in Wien, mit Herstellungsfabriken in Böhmen) die bekanntesten Lieferanten von Glastulpen und Kugelschirmen für die Lampenindustrie im österreichischen Kaiserreich.
Selbstverständlich waren die hochwertigen Salonlampen aus Deutschland auch mit Tulpen und Kugelschirmen bestückt. Diese wurden wohl zum Teil aus dem Ausland (Böhmen, Frankreich, Dänemark) bezogen. Es sind aber nur wenige deutsche Glasmanufakturen namentlich bekannt, die Schirme für Petroleumlampen hergestellt haben. Immerhin scheint es so zu sein, dass die Tulpen in Melonen- und Walzenform eher aus deutschen Manufakturen kommen. Glashütte Gelsdorf in Weißwasser (Oberlausitz) hat mehrere Walzentulpen in ihrem Angebot. Auch einige deutsche Lampenhersteller wie Löwenbach (Hannover), Gustav Heer (Neheim), Kretzschmar & Bösenberg (Dresden), Schubert & Sorge (Leipzig), Klöpfel (Erfurt) haben viele, sehr aufwändig gestaltete Kugel- und Tulpenschirme in ihren Katalogen, darunter auch mehrere Walzentulpen; allerdings ist es nicht klar, ob diese Lampenhersteller diese Glasschirme selbst produziert haben oder von Glasmanufakturen bezogen haben. Nach 1900 bilden die Vesta-Schirme den Schwerpunkt der Glasschirme in den deutschen Katalogen.
Die Kragenweite der Tulpen kann zwischen 50 und 100 mm beliebig variieren. Die kleineren Tulpen sind eher aus Frankreich, wogegen die englischen Tulpen sehr häufig die für Duplex-Brenner angepasste Kragenweite von 100 mm aufweisen. Auch die amerikanischen, breiten Tulpen für Gasbeleuchtung sind 100 mm in ihrer Kragenweite. Eine Ausnahme bilden alte englische Tulpen, die unten keinen Kragen besitzen, und deren untere Öffnung einen Durchmesser von ca.110-125 mm hat. Meines Wissens sind diese Tulpen für Gasbeleuchtung entworfen. Aufgrund ihrer größeren Öffnung unten sind sie schwieriger in den Petroleumlampen einsetzbar, denn Schirmträger für Tulpen mit größerem Durchmesser als 100 mm gibt es nicht beliebig zu kaufen. Hier helfen nur spezielle, amerikanische Schirmhalter mit 5 Zoll (ca. 125 mm) Durchmesser. Man kann sie von amerikanischen online-Versendern beziehen.
Der Innendurchmesser des Kragens
Wenn man von Kragenweite spricht, meint man den äußeren Durchmesser des Kragens. Man erwähnt gar nicht den inneren Durchmesser; und das kann in bestimmten Fällen tückisch werden! Die Matador-, Duplex- und Wiener Zylinder haben alle einen mehr oder weniger ausgeprägten Bauch. Der Innendurchmesser eines Kugel- oder Tulpenschirms müsste unbedingt etwas größer sein als der Durchmesser des verwendeten Zylinders am Bauch, falls der Brenner über keine Hebemechanik verfügt. Der Grund dazu liegt auf der Hand: Wenn man eine Lampe anzünden will, muss man zunächst den Schirm abnehmen, dessen untere Öffnung (also der innere Durchmesser des Kragens) muss folglich breiter sein als der Zylinderbauch, sonst müsste man zunächst den Zylinder abnehmen und erst danach den Schirm. Das wäre noch nicht ein großes Problem, so lange der Brenner noch nicht angezündet ist. Aber nach dem Anzünden muss man immer zuerst den Zylinder aufsetzen, und danach den Schirm, denn bei brennendem Brenner und schon aufgesetztem Schirm ist es sehr schwierig, den Zylinder rasch und sicher in die Galerie hinein zu platzieren. Rasch, weil das Zylinderglas oben schnell sehr heiß wird und Ihre Finger verbrennt; und sicher, weil das zielsichere Platzieren des Zylinders in die enge Galerie nur dann möglich ist, wenn man von oben durch die obere Öffnung des Schirms in den Brenner hinein schaut, um mit einer Hand den Zylinder exakt in die Galerie hinein zu manövrieren, aber nun kommt von dieser oberen Öffnung heiße Luft nach oben ins Gesicht! Bei Brennern mit einer Hebebühne entfällt das obige Gebot, denn bei solchen Brennern geschieht das Anzünden, ohne den Schirm und Zylinder vom Brenner abzusetzen.
Fazit: Wollen Sie einen Kugelschirm oder eine Tulpe für eine Lampe erstehen, die einen Zylinder mit ausgeprägtem Bauch und einen Brenner ohne Hebebühne besitzt, dann müssen Sie unbedingt wissen, ob der innere Durchmesser ihrer anvisierten Kugel oder Tulpe größer als der Bauchdurchmesser des Zylinders ist! Insbesondere bei Kugelschirmen und Tulpen mit einem gelippten Kragen kann der Unterschied zwischen dem äußeren und dem inneren Durchmesser sehr groß sein. Bestimmte Glasschirme des französischen Herstellers Vianne haben bei ca. 100 mm Kragenweite nur noch 85 mm Innendurchmesser unten; folglich sind sie für 20‘‘‘ Matador- und Ovalbauch-Duplex-Zylinder fast immer unbrauchbar.
Dieses Problem kann natürlich auch mit den anderen Zylindern auftauchen, die einen breiten Bauch haben (z.B. 15‘‘‘ Matador-Zylinder, Schmalbauch Matador-Zylinder, Wiener Zylinder), wenn man einen passenden Kugel- oder Tulpenschirm sucht. Bei den Knick-, Kosmos- und Flaschenzylindern kann es nur dann problematisch werden, wenn der Innendurchmesser des Schirms so eng ist, dass er zwar ohne Probleme über den Zylinder geht, aber dann bei den etwas nach außen gebogenen Spitzen der Galeriezacken des Brenners hängenbleibt. Das ist fast immer der Fall mit den alten Modérateur-Schirmen, deren untere Öffnung gerade mal 55 mm ist. Nur bei wenigen 14‘‘‘ Kosmos-Brennern kann man solche Schirme einsetzen, ohne die Spitzen der Galeriezacken ordentlich gerade zu biegen.
Problem des kleinen Innendurchmessers bei Tulpen und Kugelschirmen
Von links: Kugelschirm von Vianne: Kragenweite 99 mm, Innendurchmesser 85 mm
Problemfall: Zylinderbauch (87 mm) ist größer als der Innendurchmesser des Schirms
Ohne Probleme: Innendurchmesser des Schirms (94 mm) ist größer als der Zylinderbauch
Schirme für andere Arten von Lampen
Und zuletzt gibt es auch Glasschirme, die ursprünglich für inverse Glühlicht-Lampen oder für Elektrolampen produziert wurden. Man kann sie von den Petroleumlampen-Schirmen leicht unterscheiden, denn erstens ist ihr Kragen immer nach außen gelippt, um die Tulpe an diesem Bereich mit kleinen Schrauben in der Fassung der jeweiligen Lampe festzuhalten, da bei den oben genannten Lampen die Schirme nach unten gerichtet angebracht werden; und zweitens ist ihre Färbung „umgekehrt“: Die stärkere, dunklere Färbung ist nicht am oberen Rand, sondern im unteren Kragenbereich. Diese meist tulpenförmige Glasschirme für Elektrolampen kann man aber auch an Petroleumlampen verwenden, wenn ihre geätzte oder sonst wie angebrachte Ornamentik kein absurdes Aussehen bekommt, wenn man sie anstatt nach unten gerichtet, wie sie z.B. an den Elektrolampen eingesetzt waren, jetzt nach oben gerichtet auf einer Petroleumlampe anbringt. Dadurch kann beispielsweise eine Zierornamentik bestehend aus einer Vase mit Blumen jetzt plötzlich umgekehrt „kopfrunter“ (d.h. Blumen nach unten!) zu stehen kommen, was mit Sicherheit nicht elegant aussieht. Daher Vorsicht bei solchen Tulpen: man muss auf die in jeder Richtung „unverfängliche“ Ornamentik achten!
Tulpen-Beispiele für Elektrolampen; unverfänglich mit ihrer Dekoration
(Dekormotive jeweils auch umgedreht gezeigt)
Es gibt wie immer Ausnahmen von der Regel: Die Tulpen und Kugelschirme von Vianne haben immer gelippte Kragen, da sie wahrscheinlich sowohl für Petroleum- als auch für Elektrolampen vorgesehen waren. In meiner Sammlung habe ich einige französische Tulpen, die unten kräftiger gefärbt sind, obwohl sie eindeutig für Petroleumlampen produziert wurden.
Lichtwirkung
Völlig unabhängig davon, wie reich die Kugel- und Tulpenschirme für französische und britische Lampen geschmückt sind und wie imposant sie aussehen, das gemütlichste Licht verbreiten die weißen oder hellfarbigen Vesta-Schirme! Diese Meinung wird auch von allen unseren Gästen ungeteilt bejaht. Wenn wir in lauen Sommerabenden draußen einige Petroleumlampen anzünden, sind es ausnahmslos Lampen mit Vesta-Schirmen, die uns und unsere Gäste mit ihrem Licht entzücken.
Der Grund dürfte in der Form und in der Glassorte der Vesta-Schirme zu suchen sein. Vesta-Schirme ähneln mit ihrer nach unten breiter werdenden Form unseren heutigen Schirmlampen in Wohnzimmern, an deren Lichtausstrahlung wir uns gewöhnt haben. Das Licht der Brennerflamme erhellt das Milchglas des Vesta-Schirms gleichmäßig von innen, so dass der Schirm selbst zu der eigentlichen Lichtquelle wird. Der ganze Schirm strahlt ein angenehmes, leicht gedämpftes Licht, ohne die Augen zu ermüden. Trotzdem fällt ein helles Licht auf die umliegende Tischoberfläche, da der Vesta-Schirm die Flammenhelligkeit sehr gut nach unten reflektiert. Lampen mit Vesta-Schirmen sind aus diesen Gründen die besten Tischlampen, um bei ihrem Licht zu lesen, zu schreiben oder kleine handwerkliche Arbeiten zu verrichten.
Die Lampen mit Tulpen- und Kugelschirmen strahlen ihr Licht eher nach oben und an die Seiten, denn ihnen fehlt die nach unten gerichtete opak-weiße Milchglasschicht. Damit sind diese Lampen eher zur Erhellung größerer Raumpartien gedacht, ohne die Tischoberfläche fokussiert zu beleuchten. Insbesondere Säulenlampen mit solchen Schirmen sind gut geeignet, eine größere Tafelrunde allgemein zu beleuchten, wenn mehrere davon auf dem Tisch aufgestellt sind. Daher werden diese Lampen in Englisch-sprachigen Ländern „banquet lamp“ (= Lampe für Tischbanketten) genannt. Das Unangenehme bei diesen Schirmen ist es jedoch, dass die Flamme jetzt relativ gut zu sehen ist, denn das Licht kommt durch das satinierte bzw. gefärbte oder bemalte Glas ziemlich ungehindert durch. Das diffuse, angenehme Licht der Vesta-Schirme fehlt bei fast allen Tulpen und Kugelschirmen, sofern sie nicht aus Milchglas bestehen.
Im nächsten Foto habe ich drei vergleichbar große Lampen mit jeweils 14‘‘‘ Kosmos-Brennern und bei gleicher Flammenhöhe abgebildet. Welches Licht gefällt Ihnen am besten?
Vergleich der Lichtwirkung von Vesta-, Tulpen- und Kugelschirmen